Ihre Frage betrifft den
Satzbau. In Ihrem Fall liegt eine Koordination (= Verbindung gleichrangiger Elemente) mit
oder vor. Sie möchten nun wissen, ob sich die Konditionalangabe
bei schlechtem Wetter aus dem ersten der beiden Hauptsätze auf den Bau des zweiten auswirkt. Ihre Vermutung, dass dies so sein müsse, begründen Sie damit, dass die Angabe inhaltlich auch im zweiten Hauptsatz Bestand hat und lediglich eingespart wird, also elliptisch ist. In Ihrem Satz scheint demnach eine
Koordinationsellipse vorzuliegen (1).
Beispiel
(1)
Bei schlechtem Wetter nehme ich die Bahn oder
[…] bleibe ich zu Hause.
Generell gilt für die
Koordination, dass eine „Identität der syntaktischen Funktionen“ (vgl. grammis 2.0:
Koordination) vorliegen muss. In der Dudengrammatik heißt es zur Koordination, die allerdings als
Reihung bezeichnet wird, dass es sich um „das mehrfache Auftreten gleichartiger Elemente“ (Duden 4: 896, Randnummer 1408) handle. Beide Einträge argumentieren im Grunde für Ihren Einwand, dass die Subjektergänzung wie im ersten Hauptsatz auf das finite Verb folgen müsste. Es ergibt sich entsprechend die Frage, ob nun das
Vorfeld, die Position vor dem finiten Verb, des zweiten Konjunkts unbesetzt sein muss, um die Einsparung der Konditionalangabe aus dem ersten Konjunkt anzuzeigen. Allerdings ist es im Grunde nicht relevant, welches Satzglied jeweils im Vorfeld steht. Solange das finite Verb die zweite Position besetzt, handelt es sich um Hauptsätze. Folglich ist es auch kein Problem, die Satzglieder durch
Permutation (= Verschiebeprobe) umzustellen. Stellen wir also
ich in beiden Konjunkten ins Vorfeld, verschiebt sich die Ellipse im zweiten Konjunkt ins
Mittelfeld, wodurch die Problematik gar nicht erst auftritt (2).
Beispiel
(2)
Ich nehme
bei schlechtem Wetter die Bahn oder
ich bleibe
[…] zu Hause.
Prinzipiell sollte es aber auch kein Problem darstellen, das Subjekt bei der ursprünglichen Konstruktion im Vorfeld des zweiten Konjunkts zur realisieren, da die Sätze, wie bereits erläutert wurde, noch immer Verbzweitsätze und somit formal identisch wären.
Dass es sich hierbei aber um einen eher komplizierten Fall handelt, zeigt sich auch daran, dass die Dudengrammatik solche Konstruktionen bei den Ellipsen unter „Besondere Fälle“ aufführt (vgl. Duden 4: 898, Randnummer 1411). Hier heißt es, dass bei Reihungen von Verbzweitsätzen, bei denen das Satzglied im Vorfeld und das Subjekt im Mittelfeld gleich lauten, sogar beide im zweiten Konjunkt eingespart werden können (3).
Beispiel
(3)
Bei schlechtem Wetter nehme
ich die Bahn oder
[…] bleibe
[…] zu Hause.
Es wird aber ebenfalls gesagt, dass bei
pronominalen Subjekten, was auf
ich in unserem Satz zutrifft, „eine stärkere Tendenz [besteht], das Subjekt zu wiederholen“ (Duden 4: 898, Randnummer 1411), was durch den vorliegenden Fall exakt illustriert wird (4).
Beispiel
(4)
Bei schlechtem Wetter nehme
ich die Bahn oder
ich bleibe
[…] zu Hause.
Man sollte also bei Koordinationsellipsen eher nicht davon ausgehen, dass die Tilgung streng an exakt derselben Stelle durchgeführt werden muss, an welcher die realisierte Form sonst stünde. Besonders Koordinationsellipsen bei Angaben scheinen eigenen Gesetzmäßigkeiten zu folgen, weshalb es denkbar wäre, dass die Konditionalangabe nur noch insgesamt mitgedacht wird, ohne eine strenge koordinationselliptische Strukturposition zu besetzen.
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