Bei Ihrem Zweifelsfall handelt es sich um die Frage, ob das Verb
erschrecken der
starken oder der
schwachen Flexion folgt.
Die
schwache Flexion ist gekennzeichnet durch eine Stammformenreihe ohne Veränderung des Stammvokals:
Beispiel
(1) l
eben, l
ebte, g
elebt
Bei einer starken Flexion verändert sich der Stammvokal in der Stammformenreihe:
Beispiel
(2) s
ingen, s
ang, ges
ungen
Erschreckt ist also ein nach dem Muster der schwachen Flexion gebildetes Partizip des Verbs
erschrecken und
erschrocken ist die starke Variante des Partizips.
Bei den meisten Verben (wie bei den Beispielen
leben und
singen) ist nur eine Variante der Partizipienbildung möglich (man kann beispielsweise nicht sagen
gelaben oder
gesingt). Bei manchen Verben - und dazu gehört
erschrecken - sind mit den beiden Varianten Bedeutungsunterschiede verbunden. So gibt es ein transitives Verb
erschecken (mit Akkusativobjekt), das schwach flektiert wird:
Beispiel
(3) Auch das hupende Auto hat das Tier nicht erschreckt – es könne also kein Wolf sein.
(4) Nein, es erschreckt mich nicht. Die Kriminalität ist nun mal eine Realität.
Das intransitive Verb bildet das Partizip II stark:
Beispiel
(5) Wir sind selbst erschrocken, als wir den Kostenvoranschlag für die Sanierung der alten Halle sahen.
(6) Die Golf-Fahrerin sei erschrocken und auf die Gegenseite ausgewichen.
(alle Beispiele stammen aus dem Recherchesystem des Instituts für deutsche Sprache COSMASII)
Es ist folglich richtig, dass
beide Varianten möglich sind. Da damit aber
feste Gebrauchsregeln verbunden sind, kann man daraus
nicht folgen, dass die
Wahl einer der beiden Varianten
völlig beliebig ist. Wenn Sie sagen "Ich bin erschreckt", dann haben Sie die schwache Form gewählt, obwohl der Kontext (intransitiv) die starke Variante verlangt. Das ist kein "falsch gebildetes transitives Partizip", weil Sie das Verb hier nicht transitiv verwenden und weil es die Unterscheidung 'transitives vs. intransitives Partizip' so nicht gibt. Es gibt einerseits die Unterscheidung zwischen transitiven und intransitiven Verben und andererseits die Unterscheidung zwischen starker und schwacher Flexion. Folglich gibt es transitive und intransitive Verben, die stark oder schwach flektiert werden.
Andererseits ist natürlich gerade die Existenz von zwei Varianten (auch wenn damit standardsprachlich Bedeutungsunterschiede verbunden sind) anfällig für Zweifelsfälle.
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