Die Beantwortung Ihrer Frage ist Teil eines Forschungsprojekts zur Verständlichkeit von grammatischen Erklärungen. Wir bitten Sie deshalb darum, im Anschluss an die Lektüre der Antwort die Tools zur Bewertung (Fragebogen, Sternchenfunktion, Antwortoption) zu nutzen.
In Ihrer Frage geht es um die
Valenz des Verbs ablesen. Unter Valenz wird die Fähigkeit von Verben verstanden, festzulegen, welche Wortgruppen in einem Satz vorkommen müssen, damit dieser grammatisch wohlgeformt ist. Darüber hinaus legt das Verb nicht nur fest, welche Mitspieler es im Satz benötigt, sondern auch wie diese grammatisch realisiert werden müssen. Dabei kann es zur
Rektionsvarianz kommen. Das bedeutet, dass Verben nicht immer nur genau eine bestimmte Realisierung einer Wortgruppe regieren, sondern es dabei zu Abweichungen kommen kann. Es gibt also zu einem bestimmten Zeitpunkt verschiedene Realisierungsvarianten für eine Rektionsposition, die standardsprachlich möglich sind. Ein Beispiel dafür geben die folgenden zwei Beispielsätze:
Beispiel
1) Er klagte ihn
des Verbrechens an.
2) Er klagte ihn
für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit an.
Das Verb
anklagen verlangt eine Wortgruppe mit der angegeben wird, weswegen eine Person angeklagt wird. Dies kann einerseits wie in Beispiel 1 durch eine Nominalgruppe im Genitiv (
des Verbrechens) realisiert werden oder wie in Beispiel 2 durch eine Präpositionalgruppe (
für das Verbrechen gegen die Menschlichkeit), bei der die Präposition den Kasus der dazugehörigen Nominalgruppe festlegt. Es gibt also mehrere Möglichkeiten den Anklagegrund anzugeben und damit unterschiedliche Arten, wie die Rektionsposition besetzt werden kann.
Bezüglich Ihres Beispiels haben Sie nun bereits richtig festgestellt, dass bei dem Verb
ablesen angegeben werden muss, wovon etwas abgelesen wird. Auch hier stellt sich die Frage, wie sich dies grammatisch realisieren lässt. Schlägt man das Verb
ablesen im Dudenuniversalwörterbuch nach, finden sich folgende Beispiele, die Ihrem Beispiel am nächsten kommen:
Beispiel
jemandem jeden Wunsch von den Augen ablesen
jemandem etwas an der Stirn ablesen
Anhand dieser Beispiele lässt sich auf zwei mögliche Realisierungsvarianten schließen:
1)
Präpositionalgruppe mit von
Das Verb
ablesen kann mit einer Präpositionalgruppe bestehend aus
von + Nominalgruppe kombiniert werden, um so anzugeben, wovon etwas abgelesen wird. Bei
von handelt es sich um eine Präposition, die sich dadurch auszeichnet, dass sie den Dativ fordert. Das bedeutet, dass die auf sie folgende Nominalgruppe im Dativ stehen muss. Beispiele für diese Verwendung wäre:
Beispiel
Sie konnte ihm seine Worte
von den Lippen (= Dativ) ablesen.
Sie las ihm jeden Wunsch
von den Augen (=Dativ) ab.
2)
Präpositionalgruppe mit an
Das Verb
ablesen kann darüber hinaus auch mit einer Präpositionalgruppe kombiniert werden, die mit
an eingeleitet wird. Auch die Präposition
an kann den Dativ regieren, wie im folgenden Beispiel:
Beispiel
Sie las den Stromverbrauch
an dem Strommessgerät (= Dativ) ab.
Nun weisen Sie zu Recht auf das Problem hin, dass in Ihren Beispielsätzen keine solche Präposition vorliegt, anhand derer man auf den Kasus der entsprechenden Wortgruppe Rückschlüsse ziehen kann. Dies liegt daran, dass die Wortformen
synkretistisch sind, d.h. dass sie trotz unterschiedlicher Kategorien von der Form ähnlich aussehen.
Im Dudenuniversalwörterbuch wird kein solches Beispiel aufgegriffen, in dem angegeben wird, wovon etwas abgelesen wird und dies nicht durch eine Präpositionalgruppe realisiert wird. Das heißt, dass sich dort keine konkrete Angabe zum Rektionsverhalten des Verbs finden lässt. Um dennoch darauf schließen zu können, um welchen Kasus es sich in Ihren Beispielsätzen handelt können analoge Beispielsätze gebildet werden, bei denen die Form eindeutig ablesbar ist, um so auf das Rektionsverhalten von
ablesen zu schließen. Dazu können die folgenden Beispiele herangezogen werden:
Beispiel
Ich las den Zählerstand
dem Messgerät ab.
Die Informationen las ich
dem Aushang ab.
Das Alter las der Kontrolleur
dem Pass ab.
Ihre letzten Worte las er
dem Zettel ab.
Anhand dieser Beispiele lässt sich in Analogie für Ihre Beispiele sagen, dass die Nominalgruppen, nach denen Sie gefragt haben, im
Dativ stehen.
Dass es sich außerdem bei der Wortgruppe
der immer gleich firmierenden Homepage nicht um ein Genitivattribut handelt, lässt sich u.a. daran erkennen, dass diese Wortgruppe ein
selbstständiges Satzglied ist. Dies lässt sich durch eine
Permutationsprobe herausfinden, bei der die Wortgruppe vor das finite Verb geschoben wird. Kann eine Wortgruppe alleine vor dem finiten Verb stehen, dann handelt es sich um ein eigenständiges Satzglied. Die Wortgruppe
der immer gleich firmierenden Homepage lässt sich alleine vor das finite Verb verschieben und ist deswegen ein eigenständiges Satzglied:
Beispiel
Der immer gleich firmierenden Homepage las ich solche und ähnliche Beschuldigungen, mittlerweile gierig geworden, ab: »Ein Jude hat geschossen …«
Darüber hinaus lässt sie sich unabhängig von dem vermeintlichen Bezugswort verschieben, was bei Attributen nicht möglich wäre.
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