eine Notlandung machen

[warmgrauI]

Ich stelle eine einfache Frage.
Ich glaube, Notlandung ist ein Vorgang.

"Das Flugzeug musste eine Notlandung machen."

In diesem Satz ist "eine Notlandung machen" eine feste Verbindung und deswegen muss hier unbestimmte Artikel 'eine' stehen?

Danke im Voraus!

[Jacqueline Weiß]

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Sprachsystem

In Ihrer Frage möchten Sie wissen, ob in Ihrem Beispielsatz der indefinite Artikel eine stehen muss und ob die Ursache dafür das Vorhandensein einer festen Wortverbindung ist.

Mit Ihrer Frage stellen Sie berechtigterweise fest, dass es Fälle im Deutschen gibt, in denen der Sprecher nicht die freie Wahl hat, ob er einen Artikel realisiert und ob es sich beim realisierten Artikel um einen definiten oder indefiniten Artikel handelt. Dies ist bei einigen festen Wendungen aber auch Sprichwörtern der Fall:

Beispiel

einen Vogel haben
ein Auge auf jemanden werfen
ein Brett vor dem Kopf haben
aus einer Mücke einen Elefanten machen
Da liegt der Hund begraben.
jemanden in die Schranken weisen
in den sauren Apfel beißen müssen
den Wind aus den Segeln nehmen

In diesen Beispielsätzen hat sich der Gebrauch des Artikels konventionalisiert. Das heißt, dass er vom Sprecher nicht frei wählbar ist, sondern fester Bestandteil der Wortverbindung bzw. des Sprichworts ist.

Will man herausfinden, ob es sich bei einer bestimmten Wortfolge um eine feste Wortverbindung, eine sogenannte Kollokation, handelt, empfiehlt sich der Blick in einschlägige Wörterbücher. Im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache findet sich unter dem Lemma Notlandung die folgende feste Verbindung:

Beispiel

eine Notlandung vornehmen

Hier verbindet sich das Substantiv Notlandung also nicht mit dem Verb machen, sondern vornehmen. Das schließt jedoch nicht aus, dass es sich bei der von Ihnen benannten Wortverbindung um eine Kollokation handeln könnte, wegen der der indefinite Artikel gewählt wird.

Die Wahl des indefiniten Artikels lässt sich daneben auch dadurch begründen, dass der indefinite Artikel v.a. mit zählbaren Substantiven im Singular steht, wenn es keinen eindeutigen Grund für die Wahl des definiten Artikels gibt. Solche Gründe können sein:

a) Es wurde bereits in einem vorherigen Satz auf eine Sache Bezug genommen, die noch einmal konkret aufgegriffen werden soll. (Da steht ein Auto im Halteverbot. Das Auto wird gerade abgeschleppt.)

b) Die bezeichnete Sache gibt es nur ein einziges Mal. (Der Papst beruft einen neuen Pressesprecher ein.)

c) Die Sache wird durch Attribute, d.h. durch Konstituenten, die ein Substantiv näher beschreiben, im selben Satz identifiziert. (Es ist das Auto von Peter [=Präpositionalattribut]. Es ist das Jahr, in dem sich alles ändern soll [=Attributsatz].)

Ohne weiteren Kontext liegt bei Ihrem Beispielsatz kein solcher Grund vor, weswegen die Wahl des indefiniten Artikels plausibel erscheint. Würde der Satz jedoch in einem bestimmten Kontext stehen, könnten solche Gründe durchaus zutreffen. Dies zeigt das folgende Beispiel:

Beispiel

Während des Fluges wurde eine Notlandung nötig. Der Pilot machte die Notlandung auf dem Hudson River.

Da hier im ersten Satz bereits eine Notlandung beschrieben wird und eben diese im zweiten Satz aufgegriffen wird, erscheint es als sinnvoll, im zweiten Satz den definiten Artikel zu wählen. Das bedeutet, dass hier das sprachliche Umfeld des Satzes ebenfalls Berücksichtigung finden muss.

 

Sprachgebrauch

Um zu überprüfen, ob für Ihr Beispiel in der Regel der indefinite Artikel aufgrund des Vorliegens einer Kollokation präferiert wird, wurde mithilfe von COSMAS II, der digitalen Belegsammlung des Instituts für Deutsche Sprache (IDS), und Google nach beiden Varianten gesucht. Dabei ergab sich folgendes Ergebnis:

	COSMAS II	Google
eine Notlandung machen	ca. 25 Treffer	ca. 1.580 Treffer
die Notlandung machen	0 Treffer	ca. 4 Treffer
eine Notlandung vornehmen	ca. 6 Treffer	ca. 881 Treffer
die Notlandung vornehmen	0 Treffer	ca. 3 Treffer

Es zeigt sich, dass der indefinite Artikel im Sprachgebrauch für Ihr Beispiel tatsächlich deutlich überwiegt. Dies lässt sich einerseits darüber erklären, dass es sich um eine Kollokation handeln könnte, andererseits sind in vielen Texten die Informationen so verteilt, dass zuerst beschrieben wird, dass eine Notlandung durchgeführt wurde und erst im Anschluss die jeweilige Notlandung näher beschrieben wird.

Hinweis zu Googledaten: Die Sprachgebrauchsdaten werden mit dem wissenschaftlich fundierten Recherchesystem des Instituts für deutsche Sprache Mannheim COSMAS II erhoben und durch Googlebefunde ergänzt. Die ergänzende Googlesuche ist notwendig, da in der Textsammlung des IdS (DeReKo = Deutsches Referenzkorpus), obwohl diese inzwischen 24 Milliarden Wortformen umfasst, die gefragten Varianten häufig nur relativ selten vorkommen. Bei Google finden sich häufig deutlich mehr Treffer, die Zahlen sind aber aus den folgenden beiden Gründen mit Vorsicht zu genießen:

1. Google unterscheidet nicht zwischen "echten" Sprachgebrauchstreffern und metasprachlichen Diskussionen. Die Frage zu downgeloadet/gedownloadet in unserem Forum bspw. ist auch ein Treffer bei Google. Insgesamt betrachtet machen die metasprachlichen Diskussionen aber in aller Regel den deutlich geringeren Anteil an den Gesamttreffern aus.

2. Google bemüht sich um personalisierte und schnelle Suchergebnisse, die Treffergenauigkeit steht hier also nicht im Vordergrund. Dennoch - und deshalb wird hier trotz der genannten Einschränkungen auf Google zurückgegriffen - lassen sich doch Eindrücke über allgemeine Gebrauchstendenzen gewinnen.

 

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