Sie haben die grundsätzlichen Gebrauchsbedingungen für die verschiedenen Konjunktivformen in der Redewiedergabe gut zusammengefasst. Wir stimmen auch Ihrer Einschätzung zu, dass in Ihrem Beispiel die
würde-Form nicht geeignet wäre:
Beispiel
*Die Lehrerin sagt, dass die Kinder mehr lesen sollen würden.
Wir können die folgenden Erklärungszusammenhänge bemühen:
1.
Synkretismus: Sie haben richtig erklärt, dass eine Form nicht gut geeignet ist, etwas auszudrücken, wenn sie mit einer Form für eine andere Funktion identisch ist. In der Linguistik nennen wir dieses Problem Synkretismus. Es ist völlig richtig, dass die Konjunktiv-Form
sollte synkretistisch ist mit der Form des Präteritum Indikativ. Ein Synkretismus-Problem ergibt sich daraus aber erst, wenn es in der Sprachverwendung deshalb zu uneindeutigen Aussagen kommt. Das ist im vorliegenden Fall nicht gegeben: Der Satz
Beispiel
Die Lehrerin sagt, dass die Kinder mehr lesen soll(t)en.
hat keinen Vergangenheitskontext. Vom Sprechzeitpunkt der Lehrerin aus gesehen ist die Tätigkeit des Lesens vielmehr zukünftig. Es besteht deshalb bei der Lektüre des Satzes keine Verwechslungsgefahr mit dem Indikativ Präteritum. Fazit: Ob eine Form vermieden werden sollte, weil sie synkretistisch ist, hängt vom Verwendungszusammenhang ab.
2.
Modalverben: Wie Sie ja auch bereits festgestellt haben, ist
sollen ein Modalverb. Modalverben werden in der Tat in der Regel nicht mit der
würde-Form verbunden. Zwar können wir diese Verbindung nicht ganz ausschließen:
Beispiel
Er behauptete, er würde das dürfen.
Sie sagte, sie würde das übernehmen wollen.
Aber sicherlich ist das nur sehr begrenzt möglich.
3.
Redewiedergabe: Es ist aus linguistischer Sicht nicht unbedingt notwendig, so streng zwischen direkter und indirekter Rede zu unterscheiden, wie es bspw. in der Schule gehandhabt wird, vgl. dazu den folgenden Beitrag:
http://www.grammatikfragen.de/showth...=2505#post2505
Für die Kommunikation ist zunächst wichtig, dass eine wiedergegebene Rede als solche ausreichend gekennzeichnet wird. Wenn ich zum Beispiel formuliere:
Beispiel
Er sagt, er kommt morgen.
so ist die Aussage ausreichend als wiedergebene Rede erkennbar, obwohl weder ein Nebensatz noch ein Konjunktiv verwendet wird. So ist auch in Ihrem Beispielsatz die Redewiedergabe als solche transparent, auch wenn aus Gründen des Synkretismus auf den Konjunktiv verzichtet wird. Wie streng mit den Regeln der Konjunktivverwendung in der Redewiedergabe umgegangen wird, ist also streng genommen keine grammatische Frage, sondern eine Frage der Norm und Konvention. So wird in unterschiedlichen Verwendungsbereichen (bspw. Alltag, Schule, Journalismus) unterschiedlich damit umgegangen.
Fazit: Es ist richtig, dass sich zu Ihrem Beispiel keine völlig eindeutige Konjunktivform bilden lässt, das ist aber aufgrund der weiteren Kontextualisierung als Redewiedergabe sowie aufgrund des nicht vorhandenen Vergangenheitskontextes unproblematisch.
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