Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
gespraech in der familie
Wie ich auf die Frage gestoßen bin:
gespraech in der familie
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Sprachgebrauch
Von unserer schulischen Sozialisation her sind wir es gewöhnt, dass es eine strenge Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebensätzen gibt, die u.a. daran festgemacht wird, dass in Nebensätzen das finite Verb an letzter Position zu stehen habe: weil er lernen will. Dass Sie die Frage stellen, ob man weil er will lernen sagen könne, zeigt ja bereits, dass auch diese Möglichkeit im Sprachgebrauch vorkommt. Tatsächlich ist die Verbzweitstellung (also die Stellung des Verbs wie in einem Hauptsatz) gerade nach weil in gesprochener Sprache sehr verbreitet. Man kann also ganz offensichtlich weil er will lernen sagen, schließlich tun es ja viele.
Sprachsystem
Wenn es mehrere Varianten gibt - und das ist hier ja ganz offensichtlich der Fall: Im Sprachgebrauch ist sowohl weil er lernen will als auch weil er will lernen anzutreffen - fragen wir uns in der Sprachwissenschaft, wie die Existenz dieser Varianten erklärt werden kann. Mit anderen Worten: Wenn es mehrere Varianten gibt, muss es dafür einen Grund geben, denn Sprache tendiert prinzipiell zur Ökonomie. Es stellt sich also die Frage, ob die Varianten weil er will lernen gegenüber weil er lernen will einen Mehrwert hat, ob also mit dieser Konstruktion etwas anderes ausgedrückt werden kann.
Sprachsystematische Untersuchungen gehen tatsächlich von einer solchen "Arbeitsteilung" der beiden Konstruktionen aus: Die klassische Nebensatzstellung in mit weil eingeleiteten Nebensätzen wird dann verwendet, wenn wir eine faktische Begründung liefern wollen:
Beispiel
(1) Wir können nicht schwimmen, weil der See zugefroren ist.
Die Tatsache, dass der See zugefroren ist, ist die Begründung dafür, dass wir nicht schwimmen können. Es besteht also ein kausales Verhältnis zwischen den in den beiden Teilsätzen ausgedrückten Sachverhalten.
In der einschlägigen Fachliteratur wird davon ausgegangen, dass die Variante mit Verbzweitstellung eine andere Art von Begründung bietet:
Beispiel
(2) Es hat Frost gegeben, weil - der See ist zugefroren
Hier kann ich keinen solchen Zusammenhang herstellen wie beim ersten Beispiel: Dass der See zugeforen ist, ist nicht der Grund dafür, dass es Frost gegeben hat, sondern umgekehrt. Ich gebe hier also mit dem durch weil eingeleiteten Satz keine Begründung für den im ersten Teilsatz geäußerten Sachverhalt, sondern ich begründe vielmehr, wie ich zu der Einschätzung komme, dass es Frost gegeben hat: Ich sehe, dass der See zugefroren ist, aufgrund meines Weltwissens über die einschlägigen Zusammenhänge kann ich aus dieser Tatsache schließen, dass es Frost gegeben haben muss. Es ist also eher eine Begründung des logischen Schließens als eine faktische wie im ersten Beispiel.
Einen weiteren Verwendungsbereich illustriert das folgende Beispiel:
Beispiel
(3) Kannst du mir mal bitte das Salz reichen, weil - ich komme da gerade nicht ran.
Auch hier wird nicht der Inhalt des ersten Teilsatzes begründet, sondern begründet wird, warum ich meinen Gesprächspartner bitte, es ist also eine Art Äußerungsbegründung.
Einen dritten Begründungszusammenhang für die Verwendung von weil mit Verbzweitstellung bietet die Gesprächsorganisation in gesprochener Sprache. In der Organisationen von Gesprächen spielt eine entscheidende Rolle, wer das "Rederecht" hat, also wer gerade spricht und wer zuhört. Wenn wir einen Satz beenden, kann für den Gesprächspartner der Eindruck entstehen, dass wir nun unsere Aussage abgeschlossen haben und dass er folglich das Rederecht übernehmen darf. Wenn wir aber doch weitersprechen wollen, die genaue Formulierung für das im Folgenden zu Sagende aber noch nicht geplant haben, setzen wir Fortsetzungssignale, mit denen wir unserem Gesprächspartner andeuten "Ich bin noch nicht fertig, ich möchte das Rederecht noch behalten und meinen Gedanken noch weiter ausführen. Also bitte unterbrich mich jetzt noch nicht." Man geht davon aus, dass auch weil die Funktion eines solchen Fortsetzungssignal übernehmen kann:
Beispiel
(4) Meinen Nachbarn war das eigentlich immer egal, weil - die sind eben so schräg drauf.
Um diese Übersicht über verschiedene Verwendungsmöglichkeiten von weil mit Verbzweitstellung und Verbletztstellung zusammenzufassen: Offensichtlich gibt es für die beiden Varianten verschiedene Anwendungsbereiche, sodass aus sprachsystematischer Sicht nichts gegen die Existenz beider Varianten spricht.
Übrigens ist die kausale Verknüpfung von zwei Teilsätzen mit Hauptsatzwortstellung im Fall von denn der Normalfall:
Beispiel
(5) Wir können nicht schwimmen, denn der See ist zugefroren.
Hier käme wohl keiner auf die Idee, die Verbzweitstellung als schlechten Sprachgebrauch zu stigmatisieren.
Sprachvariation
Die Verwendung von weil mit Verbzweitstellung wird gemeinhin der gesprochenen Sprache zugeordnet. Übrigens können in der gesprochenen Sprache auch andere Junktoren mit Verbzweitstellung verwendet werden, die eigentlich als nebensatzeinleitende Subjunktoren gelten:
Beispiel
(6) Obwohl - er hatte mit der Sache gar nichts zu tun.
Beispiel
(7) Wobei - es hat alles immer zwei Seiten.
Durch die große Bedeutung von verschiedenen Kommunikationsformen des Internets wie Chat und Blog wird die Grenzziehung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache aber zunehmend schwieriger. Gerade in solchen Kommunikationsformen kann man weil mit Verbzweitstellung häufig auch in geschriebener Sprache antreffen:
.Beispiel
(8) Würde es dann auch noch Ende Oktober gehen? Weil ich habe ja diesen einen Monat kündigungsfrist. (Internetbeleg; Forum zum Thema "Betrieb wechseln in der Probezeit")
Sprachgeschichte
Häufig wird angenommen, dass es sich bei weil mit Verbzweitstellung um eine Tendenz des Gegenwartsdeutschen handelt (und bei dieser Gelegenheit wird dann gerne der Verfall der deutschen Sprache beklagt).
Dagegen kann das Phänomen für verschiedene Sprachstufen nachgewiesen werden, wie die folgenden Beispiele belegen sollen:
Beispiel
(9) Denn nun sind wir lebendig, dieweil jr stehet in dem Herrn (Luther)
Beispiel
(10) wail ich bedarf der erztlichen Hilfe (Bittschrift aus dem 19. Jahrhundert)
Beispiel
(11) Und der Seelenhiert schaut wieder zu, weil er predigt nur, und wies gemacht werden soll, weiß er nicht. (Brecht: Mutter Courage)
Es handelt sich also eher um eine historische Konstante als um eine aktuelle Entwicklungstendenz.
Geändert von Mathilde Hennig (01.08.2012 um 11:41 Uhr)
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