Da es sich bei einer Frage zur Satzanalyse um keinen den Sprachgebrauch betreffenden grammatischen Zweifelsfall handelt, wird hier auf unser auf Zweifelsfälle ausgerichtetes Antwortschema mit den Icons verzichtet. Wir möchten Sie dennoch bitten, unseren kurzen Fragebogen zur Bewertung unserer Antwort auszufüllen.
Es ist Ihr gutes Recht, eine Korrektur eines Deutschlehrers zu hinterfragen. Im vorliegenden Fall stimmen wir Ihrer Einschätzung, dass auch die Variante Ihrer Tochter ihre Berechtigung hat, voll und ganz zu. Dabei geht es zunächst um die Frage, wie die beiden Varianten grammatisch zu begründen sind. Sicherlich kann die Interpunktion manchmal helfen, Klarheit zu schaffen; sie sollte aber nicht ausschlaggebend für die Bewertung der Grammatikalität eines Satzes sein.
Die beiden Varianten - die Ausgangsvariante und die Korrekturvariante - seien hier zunächst noch einmal aufgeführt:
Beispiel
(1) Karl kann nicht mehr in seinem Haus wohnen, weil dort jemand nachts klopft, aber als er aufmacht, niemand zu sehen ist. (Schülertext)
(2) Karl kann nicht mehr in seinem Haus wohnen, weil dort jemand nachts klopft, aber
als er aufmacht, ist niemand zu sehen. (Lehrerkorrektur)
Es geht im Grunde genommen um die Frage, welche Satzteile die adversative Konjunktion aber verknüpft. In der Korrekturvariante (2) verknüpft aber Folgendes:
Beispiel
(2.1.) Karl kann nicht mehr in seinem Haus wohnen, weil dort jemand nachts klopft.
aber
Beispiel
(2.2.) Als er aufmacht, ist niemand zu sehen.
Als nebenordnende Konjunktion (= Konjunktor) verknüpft aber gleichrangige Elemente. Es ist also völlig richtig, dass, wenn der erste Teil der Verknüpfung (2.1) eine Hauptsatzwortstellung (finites Verb an zweiter Stelle) hat, auch der zweite Teil der Verknüpfung (2.2) Hauptsatzwortstellung haben muss (im vorliegenden Fall besetzt der temporale Nebensatz die erste Stelle, das finite Verb ist steht an zweiter Stelle).
Das bedeutet aber nicht, dass die andere Variante nicht auch möglich ist, nur findet die Verknüpfung durch aber hier an einer anderen Stelle im Satz statt:
Beispiel
(1.1.) [...], weil dort jemand nachts klopft,
aber
Beispiel
(1.2.) als er aufmacht, niemand zu sehen ist.
Verknüpft wird hier nicht auf der Ebene des übergeordneten Satzes Karl kann nicht mehr in seinem Haus wohnen, sondern auf der Ebene des kausalen Nebensatzes weil dort jemand nachts klopft. Da das Prinzip, dass aber gleichrangige Strukturen verknüpft, erhalten bleiben muss, ist die Position des finiten Verbs am Ende des Satzes richtig, denn dadurch wird der Nebensatz realisiert. In diesem ist die kausale unterordnende Konjunktion weil elliptisch (was völlig legitim ist):
Beispiel
(3) Karl kann nicht mehr in seinem Haus wohnen, weil dort jemand nachts klopft, aber
WEIL, als er aufmacht, niemand zu sehen ist.
Natürlich stellt sich auch die Frage, welche der beiden Varianten die sinnvollere ist. Die von Ihrer Tochter gewählte Variante (1) impliziert, dass auch die Tatsache, dass niemand zu sehen ist, als Grund dafür gesehen wird, dass Karl nicht mehr in seinem Haus wohnen kann. Die In der Korrektur bevorzugte Variante (2) dagegen macht nur das Klopfen einer ubnekannten Person dafür verantwortlich, dass Karl nicht mehr in seinem Haus wohnt, und setzt quasi die Geschichte anschließend mit einer durch aber adversativ verknüpften weiteren Information fort.
Als Fazit kann festgehalten werden: Sprachsystematisch sind beide Varianten erklärbar. Auch wenn man möglicherweise Variante (2) schlüssiger finden mag, ist eine Bewertung von (1) als Fehler etwas hart.
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